Die Augen von Pakistan

 

Pakistan – von Balutschistan über Quetta, Jacobabad, Sukkur, Bahawalpur nach Lahore

 

Pakistan – das Land vor dem wir am meisten Respekt hatten. Respekt vor dem, was uns erwartet in einem Land, welches seit vielen Jahren in einem ganz besonderen Fokus der Weltpresse steht.

 

Und irgendwie kam alles ganz anders, als wir es uns im Vorfeld der Reise ausgemalt hatten…

 

Momente die bewegen … die erste Kamelherde vor der Grenze zu Pakistan

 

Der Luftdruck muss stimmen, vor allem wenn man nur zwei Räder hat  – Selbst ist die Frau. Was macht Rudolf eigentlich??

 

 

Während ich hier schreibe – sitzend auf der Veranda eines Restaurants direkt an dieser kleinen Dorfstraße – stehen annähernd 50 Menschen um uns herum. Davon allein 5 bewaffnete Polizisten und fragen uns woher wir kommen und wohin wir gehen. Sie haben eben bei uns gestoppt und wollen uns nun weiter eskortieren…

 

Eine Situation, die sich nunmehr seit 14 Tagen hier in Pakistan immer wieder ereignet. Ich lasse mich mich nicht beirren und nutze den Teestopp zum Schreiben bei wunderschönem Wetter in ländlicher Atmosphäre, die einer Filmkulisse gleicht: Eselskarren ziehen zackig an uns vorbei, so dass die Fahrer auf ihrem Karren dahinter auf und ab hüpfen. Riesige Ochsen, die vor schwere Zuckerrohrlasten gespannt sind, schreiten gemütlich dahin, als ob sie nichts aus der Ruhe bringen könnte. Kamele ziehen die ganz schweren Lasten und Schafherden haben ihren eigene Kopf, wenn sie die Straßen überqueren. Dabei bewegen sich ihre langen Ohren wie die Pendel einer Uhr im Gleichklang hin und her. Die begleitenden Kutscher und Hirten gäben perfekte Statisten in jedem Bibel- oder Sandalenfilm ab. Schlichte Kaftane und kunstvoll gebundene Turbane prägen das Bild der pakistanischen Landbevölkerung. Ein Mann ohne Kaftan ist eine Seltenheit. Es ist soo unsagbar exotisch für uns! Den Staub der Offroadwege, der vor uns aufwirbelt, huste ich am Abend von meinen Lungen wieder ab, während die Bilder des Tages im Kopf entlang wandern…

 

Wo geht´s hier zum Hotel bitte???

 

 

… das Kabel führt zu diesem Elektrokocher 😉 Elektrolösung auf pakistanisch! Der Tee schmeckte fantastisch!

 

 

Der erste Schlafplatz in Pakistan – das Büro der Polizeistation.. Einige in der Art werden folgen..

 

 

Was für ein charakterstarker Gesichtsausdruck!

 

Jeder Tag beschenkt uns mit so vielen Eindrücken, dass wir Wochen damit füllen könnten… Unzählige Fotos und Filme haben wir bereits davon gemacht. In diesem Blog ist nur ein Bruchteil dessen aufgezeigt – und dennoch ist es der umfangreichste Bilderbeitrag in diesem Reiseblog geworden.

 

Wir laden euch erneut ein, die Bilder auf euch wirken zu lassen und daran zu denken, wenn ihr das nächste Mal Nachrichten über Pakistan in den Medien erfahrt.

 

Unsere erste Tankstelle in Balutschistan

 

 

 

 

 

Wir sind unsagbar glücklich dass wir das Elektronikproblem vorerst gemeinsam lösen können und heute noch nach Quetta kommen. Die Erleichterung kann man in den Gesichtern ablesen.

 

Herzliche Gesten unter Männern. In Pakistan ein tägliches Straßenbild

 

Ein Toyota Hilux und zwei BMW – Weggefährten durch Balutschistan

 

 

 

 

Auf unserem Weg sehe ich in die freundlichen Augen der Pakistani, sie kommen von den Feldern und aus den bescheidenen Häusern auf uns zu – nicht so ungestüm wie die Menschen im Iran. Sie sind eher schüchtern und in ihren Augen steckt Ehrfurcht und ich erkenne auch einen Ausdruck von Traurigkeit. Die Frauen sind wesentlich zurückhaltender als die iranischen Frauen und bei weitem nicht so selbstbewusst. Die Analphabetenquote insgesamt und insbesondere unter den Frauen ist hier deutlich höher.

 

Jetzt nach vielen Tagen des Reisens in diesem fantastischen Land mit diesen unglaublich herzlichen Menschen meine ich zu spüren, was die Traurigkeit in ihren Augen auslöst. Dieses Land und seine Bevölkerung sind gebeutelt und gestraft von der Isolation vom Rest der Welt. Sie nehmen unsere Hand in ihre Hände und ihr Lächeln berührt mein Herz. Die Menschen sind ausgehungert nach Kontakt mit Fremden. Auch hier – wie auch schon im Iran spüren wir tagtäglich die „Giving Culture“ – die Kultur des Gebens.

 

Nur – und das ist der gravierende Unterschied zum Iran – hier blockieren die paramilitärischen Levies in der Region Balutschistan und die Polizei in den verschiedenen Distrikten Richtung Lahore den Kontakt mit der Bevölkerung. Wofür wir in Balutschistan noch Verständnis aufbringen, strapaziert unsere Geduld hier in Punjab aufs Äußerste – hunderte Kilometer entfernt von den Gefahren der Taliban werden wir auf Schritt und Tritt bewacht und können uns nur frei bewegen, wenn wir der Polizei entkommen.

 

Das gelingt uns glücklicherweise aufgrund unserer wendigen und schnellen Motorräder mehrfach – und wir werden dafür tausendfach belohnt, wenn wir dann endlich in Herz-zu-Herz-Verbindung mit der Bevölkerung treten können.

 

Jacobabad – die erste Stadt in der wir uns halbwegs frei bewegen können und so hoffen wir dass es nun bald besser wird mit der ständigen Überwachung. Wie haben wir uns da getäuscht…

 

Wir entfernen uns von den größeren Straßen und fahren in abgelegene Dörfer und haben endlich die Möglichkeit Unterricht in Mundgesundheit an einer kleinen Dorfschule zu geben. Kurz davor hatten wir schon in Jacobabad, dem ersten Ort hinter der Provinzgrenze zu Balutschistan, die Möglichkeit erste Erfahrungen in einer staatlichen Schule zu sammeln. Mit offenen und warmen Händen werden wir begrüßt und beschenkt.

Der Bürgermeister des Ortes wird extra dazu geholt und man befragt uns unter den anwesenden Lehrern über unser Empfindungen hier in Pakistan. Es herrscht großes Interesse über unsere fantastische Reise von dem so entfernten Germany.

 

Wir bekommen die Möglichkeit in dieser Schule Unterricht zu geben.

 

 

Den Unterricht und die kleinen Behandlungen betrachten wir als großes Geschenk – auch für uns. Karies- und Parodontitisprävention sind immens wichtig – in einem Land wo nur 20 % der Menschen eine eigne Zahnbürste besitzen.

Wir werden von den Eltern nach Hause eingeladen und erleben es hautnah wie Frauen und Männer  getrennt als Gäste empfangen werden. Ich werde zu den Frauen und Mädchen geführt und Rudolf zu den Männern – alle Alterklassen sind vorhanden. Die Frauen übertreffen sich in den prächtigen, farbenfrohen Kleidern, so dass ich den Eindruck bekomme, dass ich auf einer Hochzeit eingeladen bin. Ich weiß nicht wieviele Hände ich an diesem Vormittag schüttle, wieviele zaghafte Umarmungen ich warmherzig empfange und wie oft mir in wenigen Brocken Englisch gesagt wird, welche Ehre und Freude es für alle hier ist, dass Rudolf und ich sie in ihrem Haus in diesem abgelegenen Dorf besuchen. Ich führe meine Hand zur Brust und verneige mich und sage mein einziges Wort auf Urdu „Shukria“. Dann lächeln sie mich an und wenden minutenlang nicht den Blick von mir ab. Wer ein Handy hat bittet um Selfies mit uns. Aber nicht nur eins oder zwei. Von allen Positionen und mit allen Familienmitgliedern in allen erdenklichen Kombination.

Ich dachte schon Rudolf würde mich zur Verzweiflung bringen, wenn er beim Fotografieren bis zu zehn Versuche braucht, um die Aufnahme perfekt abzustimmen. Nein, hier ist es ein gutes Geduldstraining für mich, um auch beim zehnten Foto noch zu lächeln und das Zentrum zu halten. Zentrierung ist hier auch stündlich von Nöten, wenn Menschenmassen um unsere Motorräder stehen, sobald wir nur mal kurz stoppen, um Tee zu trinken oder Obst zu kaufen.

Ich fühle mich jedoch zu keinem Zeitpunkt bedroht, keiner bedrängt mich und die Selfiesammler fragen höflich. Wenn wir zum Aufbruch dann unsere Motoren anschmeißen, teilen wir die Menge vor uns wie Moses das Rote Meer.

 

… und sind mit einem Internisten vor Ort in seiner Praxis im Gespräch. Die Menschen bekommen hier auf offener Strasse Infusionen gelegt – auf einer Holzbank liegend. Angehörige halten ihnen die dünnen Arme zum Trost. Eine der Haupterkrankungen hier in Pakistan, erklärt er uns, sind Magen-Darmerkrankungen aufgrund der schlechten Wasserqualität.

 

 

Welch krasser Gegensatz zu dem, was wir von Polizei- und Sicherheitskräften jeden Tag gebetsmühlenartig eingetrichtert bekommen: Wir dürfen uns nicht alleine bewegen, für unserer Sicherheit. Auf die Frage, welche Risiken bestehen, antworten sie meist mit “Keins” oder betretetenem Schweigen und fragenden Blick zum Vorgesetzten. Hinter vorgehaltener Hand wird unserem Einwand dann oftmals Recht gegeben und auf die Vorschriften und die Regierung verwiesen.

 

Eine Moschee in Sukkur

 

 

Unser Fazit – und das haben wir auch hunderte Male den Polizisten geantwortet, wenn sie uns mal wieder nötigten, uns vor ihrem eigenen Volk beschützen zu wollen:

 

WIR FÜHLTEN UNS ZU KEINEM AUGENBLICK UNSICHER. „We don’t want Escort!“ Ein Satz den wir in zwei Wochen täglich mehrfach sagen. Was uns als einziges aus diesem Land treibt ist die ständige Polizei im Schlepptau.

 

Wenn wir mal wieder der Polizei entkommen, legen wir ganze Straßenzüge lahm, weil 20 Mopedfahrer um uns herum uns gleichzeitig die Hand schütteln wollen.

 

Durch diese Menschenansammlungen erregen wir auch die Aufmerksamkeit der Presse und werden in verschiedenen Städten von Journalisten angesprochen. Heute morgen erst erzählte uns ein Mann, dass er von unserer Reise bereits in der Zeitung gelesen hat. Ich freue mich, dass ich die Freude hier zu sein, teilen kann.

 

 

Nomadenfamilie mit Kamelen – hier steckte mein Motorrad plötzlich fest…

 

Mittagspause

 

Viel Freude bereitet mir auch das Essen. Endlich nach wochenlangem Kebab im Iran gibt’s hier hervorragende vegetarische Kost. Und je einfacher die Restaurants oder vielmehr Essensstände am Wegesrand sind, umso leckerer schmeckt es. Ich liebe Dal  (ein Linsenbrei in verschiedenen Variationen) und Milk Tea.

 

Der Mann hinter mir stehend ist auch ganz interessiert, was ich gerade schreibe… Wir sind hier nie allein. Wir können das mittlerweile sehr gut halten und uns stört es nicht mehr, wenn die zwei Polizisten die uns begleiten mit den Gewehren auf dem Schoß fast in unseren Teetassen sitzen und zig Menschen teils gestikulierend, teils andächtig schweigend um unsere Motorräder herum stehen. Im Moment nervt es nur, da an jedem Halt im nächsten Dorf schon wieder Polizei auf uns auf wartet. Hase und Igel in echt und 3D. Unter den Polizisten gibt es einerseits pflichtbewusste – gestresste und andererseits relaxte – emphatische Charaktere. Mit den Letzteren trinken wir auch gerne mal Tee und lassen uns die Lieblingssehenswürdigkeiten ihres Distrikts zeigen. Sightseeing mit Maschinenpistole – gehört hier zu unserem Alltag.

 

Wer hatte eigentlich Angst unser Motorräder könnten gestohlen werden???? Soviel Aufpasser wie hier findest du in ganz Europa nicht!

 

Very Safe ?

 

Jedoch – das ist nicht unsere Art des Reisens. Wir wollen nicht bewacht werden in einem Land bzw. einer Region, wo uns noch nicht einmal die Polizei selbst erklären kann, welches Risiko eigentlich in ihrer Stadt für uns besteht. Hier wird unseres Erachtens eine sinnlos Sicherheitsblase aufgebaut und blind Regeln befolgt.

Obrigkeitstreue, Befehl und Gehorsam sind in der Welt der Uniformierten wichtiger als die Wünsche und Befindlichkeiten der ausländischen Besucher und der eigenen Bevölkerung.

 

 

Rudolf mit dem Direktor und Eigentümer der Schule. Er finanziert das Projekt aus eigenen Mitteln und Spenden. Die Eltern der Kinder sind so arm, dass sie sich weder die Schulsachen noch den Schulbesuch leisten können.

 

 

Zusammenfassend sei hier gesagt:

Pakistan ist unser absoluter Favorit an Eindrücken und Erfahrungen auf dieser Reise!!!!! Jeder Szene gleicht einer Filmkulisse, jeder Tag sprengt alles an Erfahrungen, was wir bisher auf Reisen erlebten. Wir dürfen Schulkindern Mundpflege näher bringen und 70 % der Dorfkinder halten das erste Mal in ihrem Leben eine Zahnbürste in ihren Händen. Wir führen kleine Untersuchungen durch mit den Möglichkeiten die wir hier haben. Es ist ein kleiner Tropfen – der für den Einzelnen hoffentlich viel bewirken kann.

 

Wir lieben die Atmosphäre auf den Straßen, die kleinen Szenen die sich am Wegesrand abspielen. Handwerkskunst ist hier hautnah erlebbar. Wir rollen vorbei an Ziegeleien, Schuhmachern, Schneider und andere Gewerke, die ihre Arbeite an der Strasse verrichten.

 

Das Herstellen von Ziegeln ist noch echte Handarbeit und ein knochenharter Job. Ich mag mir gar nicht ausmalen wir schwer das erst sein muss, wenn hier im Sommer über 50 Grad Celsius herrschen. Die Arbeiter bekommen am Tag 700 Rupien für 1000 Ziegel. Das entspricht etwa 5 Euro.

 

 

 

 

Wir lieben den quirligem Verkehr mehr denn je. Im Iran war das schon fantastisch für uns. Hier kommen neben den Lastern und Mopeds noch die Eselskarren, frei laufende Tiere jeder Größe und die Fußgänger hinzu. Alles bewegt sich in allen Richtungen gleichzeitig voran. Und auch wie im Iran ist es ein energetisches Fahren. Jetzt sind wir kurz vor der Grenze zu Indien – uns trennen nur noch 35 Km. Wenn ich das hier aufschreibe halte ich kurz inne und mir treten die Tränen in die Augen…

Wir sind von Leipzig aus gestartet und jetzt wirklich hier!!! Auf jedem Meter der Reise war der Weg das Ziel – und dennoch wird es ein bewegender Moment sein, wenn wir in 1-2 Tagen Indien betreten. Wir würden sehr gerne noch länger in Pakistan bleiben…

 

Wir lieben die Menschen hier und hoffen dass sie bald befreit werden von diesem Trauma. Und wir sind traurig, sehr traurig, wie die Menschen hier isoliert werden vom Rest der Welt.

 

Das sagen mir ihre wunderschönen und charakterstarken Gesichter, wenn ich in ihre Augen sehe – Diese Augen die so besonders sind…

 

Auf Wiedersehen Pakistan …

 

3 Antworten auf „Die Augen von Pakistan“

  1. Was für Eindrücke die ihr dort sammelt.
    Jetzt muss ich euch einfach schreiben und beglückwünschen was ihr bis jetzt geschafft habt.
    Immer wenn ich von euch höre bin ich tief berührt. Eure Reise macht was mit mir…

  2. Hallo Jana und Rudolf ,
    welch ein wundervoller Bericht und welch einmalige Eindrücke. Das Reisen mit dem Motorrad scheint ja wirklich perfekt zu sein. Nicht zu schnell und nicht zu langsam! Und vor allem DER Türöffner für diese einmaligen Begegnungen, die so prägend und besonders sind, die im Herzen noch lange erhalten bleiben.
    Da sind sie dann wieder, die Fragen: Was macht das Leben aus? Warum sind wir gerade da auf der Welt, wo wir gerade sind und nicht etwa in einem anderen Teil dieser Welt?
    Die Menschen sind soo dankbar und haben soo wenig. Sie arrangieren sich mit ihrem Sein. Im Vergleich dazu unser Teil der Welt mit dem ganzen äußeren Druck, der Enge. Wir leben in Saus und Braus – verbrauchen weit mehr Ressourcen, als uns zustehen. Wo führt all das nur hin… ?

    Ich wünsche Euch noch eine ganz tolle und erlebnisreiche Zeit. Ich brauche wohl nicht zu sagen, dass ihr jeden Augenblick genießen solltet, oder wie wertvoll jeder dieser Augenblicke ist und wie wunderbar diese Welt erschaffen ist – auch wenn wir alles geben, eben genau diese Welt zu zerstören….

    Karl

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